Gedanken über Sprache und Stil

Wege zu gutem Stil – Wolf Schneiders beste Tipps

 

Aus seinem Klassiker „Deutsch für Profis“

 

Oliver Mohr 

 

Nach wie vor ist „Deutsch für Profis“ von Wolf Schneider einer der unverzichtbaren Begleiter für alle, die es sich zur Aufgabe machen, zu schreiben oder über Geschriebenes zu urteilen: für Journalisten, Sachbuchautoren, Wissenschaftler, Kritiker und Lektoren. Die Bücher des ehemaligen Leiters der Hamburger Journalistenschule zeichnen sich durch das echte Sprachgefühl ihres Autors aus, der witzig

schreibt und gegenüber seinen Lesern nie allzu belehrend auftritt. Er vermeidet genau das, was bei vielen Schreibratgebern unangenehm auffällt: Oberflächlichkeit und Besserwisserei.

 

Guter Stil ist weit mehr als eine technische Frage und auch kein rein ästhetisches Problem, was Schneider immer wieder betont. Stil ist Ausdruck des Denkens (diese Meinung vertrat auch schon Arthur Schopenhauer) und schlechter Stil ist ein Zeichen dafür, dass die Gedanken des Autors nicht klar und gereift sind. Daher ist das erste Gebot guten Stils, sich bestmöglich über den Gedanken im Klaren zu sein, den man zu Papier bringen möchte. Dass der Gedanke bestmöglich formuliert sein soll, bedeutet allerdings nicht, dass er mit der ersten Niederschrift schon seine endgültige Gestalt gefunden haben muss. Indem er in eine sprachliche Form gebracht wird, tritt der Gedanke dem Schreibend-Denkenden deutlicher vor Augen, wird abgewogen, modifiziert und reformuliert.

 

Guter Stil manifestiert sich in dieser Wechselwirkung von Denken und Schreiben.

Weil dem so ist, können auch keine starren Stilregeln angegeben werden. Eine allgemeine Regel ist aber, dass sich Gedankenarmut durch schlechten Stil verrät. Schneider veranschaulicht das am Beispiel der Adjektive, „die am häufigsten überschätzte und am meisten mißbrauchte Wortgattung“ (S. 37). Wer kennt nicht die Enttäuschung, wenn man sich im Besitz einer großartigen Idee wähnt, jedoch diese wider Erwarten in Sätze ausformuliert recht banal dasteht. Unwillkürlich versuchen wir, das dürftige Ergebnis mit Adjektiven aufzuhübschen, anstatt die fragwürdige Formulierung fallen zu lassen und das Problem erneut zu wälzen. Vergleichsweise wenig Anstrengung kostet es, aus dem Fundus der Adjektive etwas Passendes auszuwählen.

Nicht minder differenziert sind Schneiders Ausführungen zur Redundanz. Dass Redundanz im Sinne von Geschwätzigkeit zu verurteilen ist – geschenkt. Zu Recht erinnert er daran, dass Redundanz notwendige Voraussetzung erfolgreicher Kommunikation ist, vor allem, weil sie Missverständnisse reduzieren kann. Wolf Schneider hat daher recht, wenn er darauf hinweist, dass Wiederholungen manchmal der Verständlichkeit halber notwendig sind. Es kann hinzugefügt werden, dass Wiederholungen auch als Stilmittel eingesetzt werden können. So ist das Nibelungenlied voller Wiederholungen, durch die das Epos anschaulich und plastisch wird.

 

 

Das der Redundanz gewissermaßen entgegengesetzte Stilmittel ist die Überraschung, die immer etwas Unerwartetes und Neues darstellt. Sie macht einen Text lebendig und interessant. Nicht umsonst gilt das Bürokratendeutsch als besonders arm und langweilig: die Sprache der Bürokratie kann sich keine unverhofften Wendungen erlauben. Ich möchte so weit gehen, den Überraschungseffekt in literarischen Texten und in Filmen als das wichtigste Stilmittel zu benennen. Die Qualität eines Autors bemisst sich nicht zuletzt danach, wie es ihm immer wieder gelingt, die Leser auf eine falsche Fährte zu locken und der Handlung eine erstaunliche oder sogar verblüffende Wendung zu geben.

 

Arthur Schopenhauer als Stilist

 

Bei wenigen kann man so viel über Sprache und Stil lernen wie bei Arthur Schopenhauer (1788-1860). Der Philosoph glänzte nicht nur durch eine klare, prägnante und überaus anschauliche Ausdrucksweise, sondern beschäftigte sich explizit mit der Frage, was einen guten Sprachstil ausmacht. In Aufsätzen wie Über Schriftstellerei und Stil oder Über Sprache und Worte ließ er sich über Sprachfehler aus und gab seinen Lesern zahlreiche Hinweise, worauf es bei einem guten Sprachgebrauch ankommt. Heute noch spürt man in seinen Schriften den bebenden Zorn, den sprachliche Missgebilde bei ihm erregten, und seine Begeisterung für gelungene sprachliche Ausdrücke, für die er Bespiele in der Weltliteratur, von der Antike bis zur Gegenwart, zusammentrug.

 Hart ging er mit seinen philosophischen Kollegen Fichte (1762-1814) und Schelling (1775-1854) ins Gericht, denen er unterstellte, durch einen dunklen und schwer verständlichen Stil von der Banalität des eigenen Denkens ablenken zu wollen. Am heftigsten ging er Hegel (1770-1831) an, den er regelrecht beschimpfte und damit weit übers Ziel hinausschoss. Während man die Invektiven Schopenhauers gegen Hegel und andere heute getrost übergehen kann, sind seine allgemeinen Bemerkungen über Sprache und Stil immer noch von Wert und können uns als Wegmarken im Dickicht der Sprache dienen.

 

Erste Voraussetzung für guten Stil war nach Schopenhauer, dass der Autor es ernst meinte mit seinem Leser, und diesem seine Gedanken in einer möglichst verständlichen Sprache darbot. Für Schopenhauer stand der Gedanke über der sprachlichen Form, das „Leben eines Gedankens dauert nur, bis er an den Grenzpunkt der Worte angelangt ist“ (S. 597). Die Worte können somit nie an die Originalität des reinen Gedankens heranreichen. Die Aufgabe des Autors besteht daher darin, in seinem sprachlichen Ausdruck möglichst viel von der ursprünglichen Originalität des Gedankens aufzubewahren. Einen guten Stil erwirbt man sich demnach nicht aus Stilfibeln, sondern dadurch, dass man sich eines Gedankens so deutlich wie möglich bewusst wird und versucht, die ihm angemessene sprachliche Form zu finden. Es bleibt aber dabei, dass in der Sprache immer nur eine Form des Gedankens Ausdruck finden kann und niemals der Gedanke selbst. Der Rang eines Autors bemisst sich danach, wie nahe die von ihm geschaffene Form dem ursprünglichen Gedanken kommt.

 

Schopenhauer misst der sprachlichen Form eine große Bedeutung zu, was bei seiner Unterscheidung zwischen Stoff und Form deutlich wird. In der Dichtung ist der Stoff für ihn die ungeformte Materie, und es komme allein auf den Dichter an, diese zu einem sprachlichen Kunstwerk umzuformen. Der Stoff vieler bedeutender Dichtungen ist oft banal, die Form, die der Dichter ihm gibt, ist entscheidend für die Qualität seines Werkes. Vor Goethe ist die Faustsage schon oft bearbeitet worden, aber mit „Vorliebe für den Stoff“, wie Schopenhauer sagt (S. 596). Erst Goethe schuf mit dem Faust ein formvollendetes Sprachkunstwerk.

 

„Der Stil ist die Physiognomie des Geistes“ (S. 605), meinte Schopenhauer, und fügte hinzu, dass er „untrüglicher als die des Leibes“ sei. Den Stil anderer nachzuahmen „heißt eine Maske tragen“. Mit seinem Stil bringt der Autor seine Persönlichkeit zum Ausdruck. Schopenhauer war ein sehr genauer Leser, der sich in die Psyche des Autors hineinversetzen konnte. Er kannte die Klippen des Schreibens nur zu gut. Er wusste es zu würdigen, wenn ein Autor sie gekonnt überwand und zeigte seine Freude über dessen Geschicklichkeit; genauso schnell merkte er, wenn ein Schriftsteller Umwege suchte oder sogar bluffte. In Fällen des Unvermögens ließ er oft eine spöttische Bemerkung fallen, wenn er sich aber hinters Licht geführt fühlte, brach der Zorn aus ihm heraus.

Ein weiteres Kriterium schlechten Stils war für Schopenhauer Langweiligkeit. Langeweile stellt sich ein, wenn ein Autor keine originellen Gedanken hat. Dies schlägt sich im Stil nieder, der „weitschweifig“, „nichtssagend“, „konfus“ und somit einfach langweilig ist. Ein gut begründeter Irrtum war Schopenhauer allemal lieber als eine seicht vorgetragene Banalität (S. 612 f.). Dass Schopenhauer selbst ein äußerst origineller Autor war, steht außer Frage. Besonderes Geschick bewies er darin, seine Gedanken mit Vergleichen zu veranschaulichen. So schrieb er über den Unterschied zwischen guten und schlechten Autoren:

 

„Wenige schreiben, wie ein Architekt baut, der zuvor seinen Plan entworfen und bis ins Einzelne durchdacht hat – vielmehr die meisten nur so, wie man Domino spielt.“ (S. 642)

 

Schopenhauer, Arthur, Parerga und Paralipomena. Kleine philosophische Schriften II, Frankfurt am Main 1989.

 

 

 

Hans-Martin Gauger über Sprache und Stil

 

Der Titel dieser Seite ist dem Buch von Hans-Martin Gauger entlehnt: Über Sprache und Stil. Auf gelehrte und unterhaltsame Weise führt uns Gauger in die Welt des Stils ein und nimmt seine Leser zugleich mit auf einen Streifzug durch die Weltliteratur. Den Grenzen der Etymologie ist sich der Autor wohl bewusst, wenn er darauf hinweist, dass die Ursprünge des Stilbegriffs auf das lateinische Wort „stilus“ zurückgehen, das zunächst ‚Stängel‘ bedeutete und dann ‚Griffel‘. Das Interessante an „stilus“ ist seine Doppeldeutigkeit, denn das Wort meinte einerseits die Spitze des Schreibgeräts, mit der man auf Wachstäfelchen schrieb, und andererseits das andere Ende, das abgeplattet war und mit dem man das Geschriebene wieder löschen konnte (S. 187). „Stilus“ war also Schreibgerät und Löschgerät in einem und in der Tat ist wohl bis heute die Möglichkeit, das Geschriebene zu löschen und zu über-schreiben, die entscheidende Voraussetzung, einen sprachlichen Stil zu entwickeln.

 

Das Überschreiben erfolgt, weil dem Schreibenden mehrere sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten für ein und denselben Sachverhalt zur Verfügung stehen. Die Wahl der Ausdrucksmöglichkeiten ist oft von objektiven Kriterien abhängig, so ist innerhalb der Wissenschaft ein bestimmter Wissenschaftsstil zu erwarten und bürokratische Schriftstücke sind in einem Behördenstil verfasst. Für den Stilkritiker (diese Rolle nimmt hier der Lektor ein) ist es relativ einfach, in diesen Fällen zwischen dem „richtigen“ und dem „falschen“ Stil zu unterscheiden. Weitaus schwieriger wird es, wenn der Autor seine Auswahl nach subjektiven Kriterien trifft und seinem Text mit seinem Individualstil eine persönliche Note geben will. Auch der Individualstil ist keineswegs beliebig, sondern von bestimmten Erwartungshaltungen abhängig. Nur vor deren Hintergrund kann der Autor Individualität ausdrücken, indem er vom Erwarteten auf originelle Weise abweicht (S. 193 f.).

 

Stil bewegt sich demnach zwischen Traditionen und Konventionen und der Individualität des Autors. Bestimmte Konventionen lassen dem individuellen Ausdruck so gut wie keinen Spielraum, zum Beispiel amtliche Schreiben oder Gesetzestexte oder behördliche Verfügungen. Die wissenschaftliche Sprache erlaubt hingegen Individualität, soweit sie sich mit dem wissenschaftlichen Anspruch an Objektivität und Fasslichkeit vereinbaren lässt (zum Thema ‚Fasslichkeit‘ S. 253 f.). Bei einer Stilkritik kommt es demnach darauf an, den Raum auszuloten, den Traditionen und Konventionen der sprachlichen Individualität einräumen und zu beurteilen, wie originell der Autor diesen Spielraum nutzt. Ein guter Lektor kennt die Limitationen, die dem Stil gesetzt sind, und die Freiheiten, die ihm gegeben sind, und er verfügt über Übung und Sprachgefühl, um die Originalität eines stilistischen Ausdrucks zu beurteilen. 

 

Gauger, Hans-Martin, Über Sprache und Stil, München 1995.